Gestern Nachmittag bin ich auf dem Rückweg von einer kleinen Rad-Tour am Weingut Chat Sauvage vorbei gefahren (das ist Französisch und bedeutet auf Deutsch so viel wie „teures Gesöff“ ). Dieses Weingut wurde 2009 von einem Hamburger Geschäftsmann gebaut, weil dieser unbedingt Pinot Noir im Rheingau produzieren wollte.
Dabei ist dieses Vorhaben weder originell noch einmalig – denn im Rheingau wird schon seit fast 900 Jahren Spätburgunder (Pinot Noir) angebaut. Und mit der Idee diesen Wein in hoher Qualität anzubauen ist der Hamburger auch weder der erste noch der einzige. Das Weingut August Kesseler in Assmanshausen produziert seit 1924 erstklassige Spätburgunder Weine und rangiert seit 20 Jahren mit seinen Gewächsen im absoluten Spitzenbereich.
Eigentlich wollte ich nur sagen, dass mir dieses Weingut etwas suspekt ist. Aber egal, mit dem Rad kann man ruhig einmal dran vorbei fahren und die Erdaufschüttung bewundern, die sie einfach zu einer Fläche planiert haben, nachdem der Keller ausgehoben war. Man kennt das ja, wenn man baut und irgendwann das Geld einfach nicht mehr reicht…
Auf dem planierten Aushub stand doch glatt ein Weinprobierstand und ein Schild gab darüber Auskunft, dass es sich um den „Johannisberger Weinprobierstand“ handelt. Das erstaunte mich doch etwas, denn „DEN“ Johannisberger Weinprobierstand gab es bis in die 1980er Jahre im Ortskern von Johannisberg. Und jetzt auf einmal 30 Jahre später steht er auf einem Erdhügel mitten in der Walachhei Gemarkung? Ich war schon dran vorbei gefahren, musste dann aber doch umkehren, um mir das genauer anzuschauen und das Angebot zu prüfen.
Was mir zuerst auffiel war, dass sich um den Erdhügel-Weinstand viele Familien mit Kindern versammelt hatten und ein reges Treiben herrschte. „Gut“ dachte ich, das scheint ja ein familienfreundliches Angebot zu sein. Nach dem Studium der Preisliste war mir allerdings nicht ganz klar, weshalb diese jungen Leute gerade hier her gehen. Es gab Rosé und Weisswein für 4 Euro und Spätburgunder für 5 Euro. Keine Missverständnisse: das ist nicht der Preis pro Flasche, sondern pro Glas! Offenbar sind die kinderreichen Familien heutzutage ziemlich wohlhabend…
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Erstaunlich fand ich, dass es überhaupt Weisswein gab. Und noch erstaunlicher, dass es ein Lorcher Pfaffenwies war. Wein dieser vorzüglichen Lage habe ich früher immer bei der Lorcher Winzergenossenschaft für 5 Euro gekauft (pro Flasche, nicht pro Glas). Offenbar hat der Hamburger Pinot-Noir-Freund den klammen Nebenerwerbswinzern dort ein paar Weinberge abgefuggert und macht da jetzt einen Hype draus. Naja, so gehn die Gäng…
Wie auch immer – ich trank einen 2009er Rheingauer Pinot Noir. Ein vorzüglicher aromatischer, duftender und runder Wein, an dem man überhaupt nichts aussetzen konnte und der tatsächlich sein Geld wert war. Respekt!
Trotzdem ist das Weingut suspekt – wer bin ich denn, dass ich mich von nur einem guten Glas Wein von meinen gefestigten Vorurteilen abbringen lasse?